Eine barrierefreie Evakuierung ist sicherlich kein Kinderspiel. Dennoch verpflichtet die Arbeitsstättenverordnung Arbeitgeber dazu, den Umgang im Evakuierungsfall zu üben und eine Flucht für alle – barrierefrei versteht sich – zu ermöglichen.
Für viele Unternehmen verursacht dieser Umstand – milde gesagt – Bauchweh. Zu Recht, denn um eine barrierefreie Evakuierung zu ermöglichen, bedarf es oft baulicher Veränderungen die mit gewissen Kosten verbunden sind.
Als Herangehensweise emfpiehlt sich für diese Unternehmen in erster Linie die Kontaktaufnahme eines zertifizierten Gutachters sowie ein Lokalaugenschein. Dabei können bestehende Mängel evaluiert, erste Lösungsansätze gefunden und ein Kostenrahmen eingegrenzt werden.
Wer denkt, dass die Rampe im Eingangsbereich ausreichend ist, der mag sich irren, denn unter „barrierefreier Evakuierung“ versteht man einen lückenlosen Fluchtweg aus der Gefahrenzone für alle. Doch allem voran muss erst einmal verstanden werden, was es für einen behinderten Menschen heißt, in einen Ernstfall involviert zu sein um diese Dringlichkeit und die Berechtigung der Gesetzgebung zu verstehen.
Die emotionale Belastung solch einer Situation ist schon für Menschen ohne Behinderung eine Herausforderung. Hat man jedoch sein Augenlicht verloren, ist auf einen Rollstuhl angewiesen oder kann durch ein Gebrechen des Alters nicht mehr auf seine physischen Kräfte vertrauen, gestaltet sich ein Ernstfall weitaus dramatischer. Neben der Hilflosigkeit und der Angst des Überlebens kommt auch die Panik anderer zu tragen. In dieser allumfassenden Unsicherheit kann oft nur das Gefühl der Selbständigkeit Leben retten und genau das kann nur durch die barrierefreie Evakuierung gewährleistet werden.
In Zusammenarbeit mit den zertifizierten Gutachtern von freiraum-europa gibt Präsident Dietmar Janoschek einen kurzen Einblick in das Thema der „barrierenfreien Evakuierung“ und erklärt, welche Maßnahmen für Notfälle zwingend getroffen werden müssen:
Die Arbeitsstättenverordnung legt für Arbeitgeber genau definierte Richtlinien fest. §16 Abs. 2 besagt: „Werden sinnes- oder bewegungsbehinderte Arbeitnehmer/innen beschäftigt, ist durch geeignete technische oder organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass diese den Eintritt einer Gefahr rechtzeitig wahrnehmen können und ihnen im Gefahrenfall das rasche und sichere Verlassen der Arbeitsstätte möglich ist.“
Welche baulichen Möglichkeiten gibt es demnach für Arbeitgeber?
Janoschek: Die Optionen variieren gemäß den Anforderungen. Für blinde und sehbehinderte Menschen stellt beispielsweise ein richtungslenkendes akustisches Leitsignal die einzige Möglichkeit dar, sich im Ernstfall selbst zu retten.
Für Menschen mit Hörschädigungen empfehlen sich Sicherheitsbeleuchtungen in Fußbodennähe, damit diese auch bei starker Rauchentwicklung gut sichtbar sind oder aber Blitzleuchten. Diese sollten allerdings unbedingt ans Brandmeldenetz angeschlossen und auch in Wohn- und
Sanitärräumen vorhanden sein. Eine ähnliche Funktion erfüllen auch Vibrationskissen in Kombination mit Rauchmeldern.
Wie können sich Rollstuhlfahrer bzw. Gehbehinderte Menschen retten?
Janoschek: Der Fluchtweg muss in erster Linie selbstverständlich über eine Rampe verfügen. Diese darf allerdings nur eine maximale Steigung von zehn Prozent aufweisen und muss mit einer rutschhemmenden Oberfläche versehen sein. Eine andere Option gehbehinderte oder schwache Menschen in Sicherheit bringen zu können ist der sogenannte „Evac-Chair“. Dabei handelt es sich um einen klappbaren Transport-Stuhl der im Ernstfall mühelos auseinander geklappt werden kann um Rollstuhlfahrer, gehbehinderte oder schwache Menschen, Schwangere oder ältere Personen über die Treppe zu evakuieren.
Als Blinder wissen sie aus erster Hand, welche Massnahmen am sinnvollsten sind. Welche baulichen Gegebenheiten erfüllen für Sie persönlich das höchste Sicherheitsmass im Ernstfall
Janoschek: Naja, das bereits angesprochene, richtungslenkende Akustik-Leitsignal ist sicher einer jener Maßnahmen die im Notfall zügig Sicherheit verspricht und Panik eindämmen kann. Aber auch tastbare und kontrastreiche Bodenleitsysteme oder Handlaufbeschriftungen in Braille zur Fluchtrichtung sind für mich als Blinder enorm hilfreich.
Wenn ich mir als Unternehmer nun unsicher bin, ob meine baulichen Massnahmen den gesetzlichen Vvorgaben entsprechen, was kann ich zur Sicherstellung tun
Janoschek: (lacht) … uns anrufen!
Checkliste: 20 Fragen zur Evakuierung